Der Zwerg Nase - ein Kunstmärchen über Ungerechtigkeiten des Lebens und Kräuterköche
Illustration: Lisbeth Zwerger
Hexe - Medicus - Koch? Früher wie heute gab und gibt es Menschen, die um die Wirksamkeit der Kräuter besser Bescheid wissen als andere.
Gegen alles ist ein Kraut gewachsen - so weiss es der Volksmund. Und er scheint recht zu haben. Jedenfalls lassen uns die Kräuter nicht los. Sei es im Badezimmer, im Medizinschrank oder in der Küche - seit Menschengedenken sind die Kräuter stets an unserer Seite.
Hexe? Medicus? Koch? Wem die beiden ersteren Begriffe eher abenteuerlich erscheinen, dem mag vielleicht das letzte Wort ein angenehmes Erinnern hochsteigen lassen. Die Kräuterküche, der Gang zum Markt, das Auslesen aus der Fülle von frischen Kräutern und dem, was der Garten sonst noch so hergibt - welch ein Fest für die Sinne.
Was der Koch daraus zu zaubern vermag, dem ist auch das Kunstmärchen Der Zwerg Nase geschuldet. Unter anderem. Denn da geht es nicht nur ums Zubereiten sprichwörtlicher Genüsse, es geht auch um die Ungerechtigkeiten des Lebens.
Was Wilhelm Hauff 1826 verfasste, ist heute brandaktuell: wem sind sie nicht fremd, die Ungerechtigkeiten des Lebens? Und wer kennt sie nicht, die kulinarischen und lukullischen Freuden am Ende eines entspannenden Kochgangs für Freunde?
Was vielen unbekannt ist: Die Speisen, die Hauff Nase zubereiten liess, haben einen politischen und gesellschaftlichen Hintergrund:
Nachdem Deutschland in zahlreiche kleine Länder zerfallen war, von denen jedes unter der Willkür seines Machthabers zu leiden hatte, träumte Hauff davon, die königlichen, gräflichen oder herzöglichen Ungerechtigkeiten bestraft zu sehen. Wohlstand und Glück für alle, dafür könne nur ein guter König sorgen.
So sind denn auch die Namen der Gerichte, die Nase für seinen König kochen soll, von Kritik durchzogen: die dänische Suppe, rote Hamburger Klösschen oder die Königin aller Speisen, die Pastete Suzeräne, was dann auch in einen "Kräuterkrieg" und hernach in einen "Pastetenfrieden" zwischen den beiden Oberhäuptern mündet (Suzernänität bezeichnet die Herrschaft eines Staates über einen anderen, was sich mit der aktuellen Situation des Ringes vieler kleiner Machthaber um die Oberhand erklärt).
Doch der Reihe nach.
Szenische Lesung - Zusammenfassung
Als eines Tages eine hässliche alte Frau zum Gemüsestand von Jakob und seiner Mutter kommt und dort mit braunen spinnenfingrigen Händen die schönen Kräuter zerdrückt, äussert sich der 12-jährige Jakob mehr als abfällig über das Aussehen der alten Frau: welch grässliche lange Nase, welch unsäglich dürrer Hals... Worauf ihm die Alte dasselbe anwünscht - eine lange Nase und ein fehlender Hals sollen seine Erscheinung künftig zieren. Zu guter Letzt muss Jakob ihr auch noch die wenigen Kohlköpfe, die sie schliesslich doch noch ersteht, nach Hause tragen.
Was er jedoch nicht weiss, ist, dass er es mit der Fee Kräuterweis zu tun bekommen hat. Und so geschieht, was geschehen muss, die Fee verzaubert Jakob für sieben lange Jahre. In der Zeit arbeitet er sich von Knecht- zu Meisterschaft in den Kochkünsten hoch.
Als er endlich zurück zu seiner Mutter hinter ihrem Marktstand findet, wird er nicht mehr erkannt. Die Verwünschung hat sich erfüllt, Jakobs Gesicht ziert nun ein lange dünne Nase, der Hals fehlt, er hat immer noch die Grösse eines zwölfjährigen Jungen, doch die Schultern sind breit und der Rücken trägt einen Buckel.
Nachdem er auch von seinem Vater unerkannt verstossen wird, muss Jakob sein Schicksal selber in die Hand nehmen. Er besinnt sich seiner Kochkünste und begibt sich in die Dienste des Königs. Von ihm erhält er auch seinen Namen: Der Zwerg Nase.
Nach solch vielerlei Ungerechtigkeiten ist es Nase nun vergönnt, ein unaufgeregtes Dasein zu fristen. Es begegnet ihm eine Verbündete in Gestalt einer Gans, welche ebenfalls mit einem Zauber belegt wurde. Jakob nimmt sie in seine Obhut, wofür sie sich erkenntlich zeigt als Jakob in höchste Not gerät...
Das Kunstmärchen strotzt vor imaginären Bildern und macht Lust auf Kräuter, Kochen und Essen. Aber auch auf Nachdenken über die zahllosen Ungerechtigkeiten in unserer Welt.
art-workshop
Kräuter und lukullische Genüsse stehen auch im Mittelpunkt des art-werkshops, Die Verarbeitung zur persönlichen Komposition ist eher ungewöhnlich und wohl nur durch Überlieferung erhalten.